Ich habe mehrere Jahrzehnte Erfahrung im Sichern und beobachte ebenso lang Seilschaften beim Klettern und Sichern. Leider musste ich dabei schon viele Unfälle sehen und habe auch selbst schon welche erlitten. Schon sehr lange treibt mich deshalb dabei eine Frage an: Wie können wir das Sichern sicherer machen? Wie können wir bestmöglich Kletterunfälle vermeiden? Und wie kann ich in meinen Kletterkursen Methoden lehren, die leicht umzusetzen sind und gleichzeitig maximale Sicherheit bieten? 

Blicken wir zurück auf die Geschichte der Sicherungsgeräte, hat sich viel getan. HMS, Achter oder Tube haben fast keine Fehlertoleranz. Ist die Bremshand nicht am Seil, hat das fatale Folgen. Um Unfälle zu vermeiden und den Klettersport (Sportklettern) sicherer zu machen, kamen erste Halbautomaten auf den Markt. Um hier gleich ein Missverständnis zu klären: Noch immer liegt die komplette Verantwortung bei der sichernden Person! Doch der Blockiermechanismus der Halbautomaten bietet ein bisschen mehr Sicherheitsreserve und unterstützt die sichernde Person dabei, ihre Aufgabe beim Sichern gut zu erfüllen. 

Doch noch immer passieren Unfälle – auch mit Halbautomaten! Denn leider werden die Sicherheitsreserven oft falsch interpretiert. “Das ist doch ein Automat, der macht von alleine zu, auch wenn ich das Seil nicht halte!” Das ist eine häufige Antwort, wenn ich Seilschaften darauf aufmerksam mache, dass sie das Bremshandprinzip verletzen. 

Meine Freunde und Trainerkollegen Máté und Leni von der climBe Kletterschule haben ein paar Unfallstatistiken durchforstet und einige Zahlen zusammengetragen. Sie sprechen eine deutliche Sprache. Und passen zu den Gedanken, die ich mir schon lange Zeit zum Sichern mit Halbautomaten gemacht habe. Gemeinsam möchten wir mit der “Hände-weg-vom-Gerät”- Kampagne für mehr Sicherheit beim Sichern sensibilisieren und eine Sicherungsmethode vorstellen, die unserer Meinung nach das Sichern noch ein bisschen sicherer macht. 

Wie kann es mit Halbautomaten zu Kletterunfällen kommen?

Lange Jahre Erfahrung mit Kursteilnehmern und viele Beobachtungen beim Sichern haben gezeigt: Die Empfehlungen der Hersteller sind zwar sicher, wenn sie exakt so ausgeführt werden, wie sie beschrieben sind. Doch in der praktischen Umsetzung zeigt sich immer wieder, dass die Empfehlungen fehleranfällig sind. Und leider neigen wir Menschen eben zu Fehlern.

Deshalb lehre ich seit vielen Jahren in meinen Kletterkursen eine bestimmte Methode beim Seilausgeben. Ziel ist es dabei, das Seil möglichst so auszugeben, dass das Sicherungsgerät nicht angefasst werden muss (Tube-Methode) und falls es angefasst werden muss, sollte das ohne Verletzung des Bremshandprinzips passieren. Warum das unserer Meinung nach sicherer und weniger fehleranfällig sein soll? Das hat zwei Gründe, die sehr eng miteinander zusammenhängen:

Grund 1: Eingreifen in den Blockiermechanismus der Halbautomaten

Wenn wir das Gerät beim Seilausgeben anfassen, greifen wir in den Blockiermechanismus der Halbautomaten ein. Schauen wir mal genauer auf das Beispiel der so genannten Rüsselgeräte. Um Seil auszugeben, empfehlen die Hersteller, den Hebel mit dem Daumen etwas nach oben zu ziehen. Für den Moment des Seilausgebens setzen wir somit den Blockiermechanismus des Geräts außer Kraft. Nun stellen wir uns vor, dass es genau in dem Moment zu einem Sturz kommt (ich habe das schon mehrmals beobachtet und auch climBe hat aus den Unfallstatistiken herausgelesen, dass das gar nicht so selten der Fall ist). Behalten wir mit den restlichen Fingern das Bremsseil fest umschlossen, wie es der Hersteller empfiehlt, sind wir auf der sicheren Seite. Doch das ist erfahrungsgemäß nicht immer der Fall. Und das bringt uns zu unserem zweiten Grund.

Grund 2: Bremshandprinzip nicht ideal umgesetzt

In den Herstellerempfehlungen wird meist beschrieben, dass unsere Bremshand den Blockiermechanismus am Halbautomaten lösen sollte, um Seil ausgeben zu können. Laut Empfehlung bleibt die Bremshand natürlich möglichst um das Seil geschlossen. Bleiben wir beim Beispiel der Rüsselgeräte, ist es der Daumen der Bremshand, der den Hebel ein Stückchen nach oben zieht. Damit befindet sich die Hand nicht mehr unter dem Gerät, sondern auf gleicher Höhe des Geräts. Wir verlassen also die perfekte Position. Nicht nur im Hinblick auf das Sicherungsgerät, sondern auch im Hinblick auf die Position am Bremsseil!  Immer wieder beobachten wir, dass sich die restlichen Finger schnell vom Seil lösen, wenn sich der Daumen öffnen oder sogar aktiv den Hebel nach oben zieht. Je größer der Hebel der Rüsselgeräte ist, desto mehr stimuliert es dazu, diesen Fehler zu machen. Die sicherste Variante für unsere Bremshand ist geschlossen und mit dem Daumen als „Wächter“ kontrolliert.

Soll der Daumen den Rüssel nach oben drücken, öffnet er sich leicht – und mit ihm die ganze Hand.

Willst du selbst spüren, wie einfach sich die ganze Hand öffnet, sobald du den Daumen öffnest? Dann laden wir dich zu einem kurzen Experiment ein:

Schließe deine Hand zu einer Faust und lege wie auf dem ersten Beispiel den Daumen auf das erste Glied deines Zeigefingers. Nun öffne schnell Zeigefinger, Ringfinger, Mittelfinger und kleinen Finger. 

Schließe deine Hand nun zu einer Faust und lege wie auf dem zweiten Beispiel den Daumen über das zweite Glied von Zeigefinger und Mittelfinger (mit leichtem Druck). Nun öffne schnell die übrigen Finger. Hast Du den Unterschied bemerkt?

Der Wächterdaumen verhindert, dass sie die übrigen Finger und somit die ganze Hand öffnet.

Gute Reflexe, schlechte Reflexe 

In unerwarteten Situationen übernehmen oft unsere Reflexe die Kontrolle über unsere Handlungen. Sind sie mittels viel Erfahrung gut geschult, können sie uns helfen, in sekundenschnelle richtig zu handeln. Schleichen sich aber Fehler ein oder ist die Erfahrung beispielsweise bei Anfängern noch nicht ausreichend vorhanden, können wir aus Reflex auch schnell falsch handeln. Mit der Methode, dass der Daumen stets über Zeigefinger und Ringfinger liegt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir aus Reflex die Bremshand öffnen. Denn es ist schwieriger, in dieser Haltung die Faust zu öffnen. Und deshalb lehre ich in meinen Kletterkursen, dass die Bremshand möglichst IMMER in dieser Position am Seil ist – und das eben auch beim Seilausgeben! Deshalb: Hände weg vom Gerät! Und die Bremshand immer umschlossen am Bremsseil! 

Falls das bis hierhin für Dich überzeugend klingt, lohnt es sich für Dich, dranzubleiben. Denn in den kommenden Wochen werde ich gemeinsam mit climBe die „Keine-Hand-am-Gerät“- Methode mit verschiedenen Halbautomaten vorstellen. Wir werden zeigen, wie Du Seil ausgeben kannst, ohne den Halbautomaten anzufassen. Und wir werden weiter versuchen, zu sensibilisieren, welche Gefahren lauern, wenn wir das Gerät beim Sichern anfassen.

Also: Bleib dran und unterstütze uns dabei, das Sichern noch sicherer zu machen!